persönlicher Kommentar
Sonntagsspaziergang im Spätherbst
Wenn ich durch die Germeringer Moosschwaige laufe, genieße ich die frische Luft, die Bewegung, das Licht in den Bäumen, Wolkenbilder und Nebelschwaden über den Feldern. Ganz anders, wenn ich mit meinem Mann laufe. Studierter Öko-Landwirt, Ornithologe, Naturschützer und Jäger, sieht er Dinge, die ich nicht sehe. Ich will euch auf den heutigen Spaziergang Anfang Dezember mitnehmen, mit seiner Brille.
Der Weg führt über eine Wiese, an deren Rändern Unterholz und Wald stehen. Breite, dunkelbraun-erdige Radspuren sind in der Wiese an den Waldrändern zu sehen. Anscheinend ist kürzlich ein großer, schwerer Traktor hier entlanggefahren. Mein Mann sieht auch den Grund dafür. "Hier haben sie die Bäume und Büsche am Waldrand zurückgeschnitten, damit sie nicht immer weiter in die Wiese wachsen", erklärt er mir und meint, es wäre zwar schön, wenn sich der Waldsaum weiter entwickeln könnte, aber auch akzeptabel, dass der Wald zurückgedrängt wird. Eine Wiese muss freigehalten werden, sonst wächst sie mit der Zeit immer weiter zu. Aber der Zeitpunkt sei schlecht gewählt. Die Wiese ist regengetränkt. Durch so eine nasse Wiese mit schwerem Gerät zu fahren, bedeutet, den Boden stark zu verdichten und der Bodenstruktur zu schaden. Was das bedeutet? Es schädigt Pflanzen und Bodentiere und vermindert die Wasseraufnahme und - speicherfähigkeit des Bodens für längere Zeit. Dabei war das nicht nötig. Der November war relativ trocken, und über trockenen Boden zu fahren bedeutet deutlich weniger Bodenverdichtung. Manche Forst- und Landwirte, die sich nicht nach der Bodenbeschaffenheit richten, scheinen das Gefühl für ihren Boden verloren zu haben.
Wir gehen weiter, er biegt vom Weg ab und begutachtet den linken Waldrand. "Gut, dass der Zaun weggenommen worden ist", meint er. Wie oft habe ich schon sein Schimpfen darüber gehört, dass junge Wälder, die längst hochgewachsen sind, immer noch von Zäunen umgeben sind, die vor Jahren einmal die Rehe vom Verbeißen der jungen Triebe abhalten sollten. Wachsen die Bäume höher, ist der Leittrieb für die Rehe unerreichbar und die Zäune damit unnötig. Bleiben die Zäune stehen, bedeutet das Gefahr für Tiere, die sich darin verheddern und elend zugrunde gehen können, und eine Einschränkung ihrer Fluchtmöglichkeit. Die wäre gerade in unseren stadtnahen Erholungsgebieten besonders wichtig, da die Tiere zu jeder Tageszeit durch Jogger, Spaziergänger, freilaufende Hunde und Radler ohne Rücksicht auf ihre nötige Ruhe, ja sogar nachts und in ihren Rückzugsgebieten aufgestört werden. Gut also, dass hier der Zaun aufgehoben wurde und die Wildtiere wieder ein Stück Lebensraum zurückbekommen.
Weiter hinten kommen wir an dem Bach entlang, an dem Familie Biber eine Seenplatte plant und ausführt. Ihre Bebauung schreitet voran, viele Bäume sterben in den neuen Teichen schon ab. Dafür entstehen neue Möglichkeiten, Fische tummeln sich in dem inzwischen beruhigten Wasser, ein Eisvogel fliegt auf. Es ist schön, dass der Biber sich wieder ausbreitet und seinen Landschaftsbau betreiben darf. Und einige alte, dicke Weiden haben eine Drahthose bekommen - sie sollen nicht zum Biberfrühstück werden. "Schön, dass die Bäume geschützt werden", kommentiert mein Mann. Natürlich gebe ich ihm Recht. "Aber warum wird mit zweierlei Maß gemessen?" Hier, beim Biber, gilt der Opferschutz. Er darf sich ausbreiten, die Bäume werden eingezäunt. So wie sich auch der Wolf wieder ausbreiten darf und die Schafe geschützt werden. Aber warum ist es bei den Rehen und Hirschen anders? Warum gilt hier einseitig "Wald vor Wild" und nicht "Wald mit Wild"?
Klar müssen lokal zu hohe Wildbestände stärker bejagt und auf ein vernünftiges Maß reduziert werden, zumindest zeitweise, solange die Naturverjüngung aufwachsen soll (Stichwort "klimastabile Wälder"). Aber Reh, Hirsch oder Gams nur noch als Waldschädlinge zu betrachten, (wie es vielerorts geschieht), ist zu radikal. Hier wird das Wild zum Sündenbock gemacht, welches den Aufwuchs der klimastabilen Mischwälder verhindert und überall und ständig gnadenlos bekämpft werden muss. Das ist eine zu einseitige Betrachtung. Ein immer höherer Abschuss alleine wird den Wald auch nicht retten. Die Ursachen für das Waldsterben sind vielfältig, auch eine verfehlte Forstwirtschaft ist dafür mitverantwortlich.
Mein Mann zeigt mir ein junges Bäumchen, einen Ahorn. Sein Leittrieb ist abgebissen, aber rundum wachsen neue Triebe am Stamm. Er wird, wie die meisten verbissenen Bäumchen, buschig weiterwachsen. Solange also eine Naturverjüngung mit den Hauptbaumarten, wie hier in der Moosschwaige auch außerhalb des Zaunes, stattfindet, kann ein gewisser Wildverbiss toleriert werden. Besonders verbißgefährdete Bäume - wie die Weißtanne - könnten, ähnlich wie beim Biber, auch vorübergehend mit einem Zaun geschützt werden.
Auf dem Rückweg überholen wir eine junge Frau, die sich in ihr handy vertieft, während ihr Hund sich fröhlich ins Unterholz aufmacht. Schon hat er eine Spur und läuft begeistert im Zickzack durch den Wald. Mein Mann hasst es, Leute zu erziehen, aber auf mein Drängen hin spricht er die Frau an, sie solle den Hund zurückpfeifen. "Warum?", fragt sie unschuldig und lässt sich freundlich erklären, was für einen Stress es für das Wild bedeutet, im Winter vor Hunden und Spaziergängern flüchten zu müssen, während es Energie sparen muss, um zu überleben. Sie ruft ihren Hund, der widerwillig und erst nach einigem Weiterschnüffeln zurückkommt. Ich höre förmlich den Hasen im Dickicht aufatmen.
Hoffentlich hat unser Spaziergang auch euch, so wie mir, die Augen etwas geöffnet. Sobald die Corona-Auflagen es erlauben, möchte ich euch sehr gerne wirklich in den Wald mitnehmen! Vielleicht zu einem Frühlingsspaziergang
Carmen Greiff
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